Karma-Yoga

Klappentext:

In seinem Buch Karma-Yoga stellt Swami Vivekananda den Pfad des Karma-Yoga, ein System aus Religion und Ethik, vor, das dahin führt, Freiheit durch Selbstlosigkeit und gute Taten zu erlangen. Der Karma-Yogi braucht an keine Doktrin zu glauben. Er hat sein eigenes, besonderes Ziel: die Realisierung der Selbstlosigkeit. Er wird sie für sich selbst ausarbeiten; jeder Moment seines Lebens wird eine Verwirklichung der Selbstlosigkeit sein, denn er hat sie durch reine Arbeit zu erlangen, ohne die Hilfe von Lehrsätzen oder Theorien. Er löst auf diese Weise jenes Problem, das der Jnâni-Yogi durch Vernunft und Inspiration und der Bhakti-Yogi durch seine Liebe löst.

 

 

Aus dem Buch:

Kapitel 1
Karma und seine Wirkung auf den Charakter
Das Wort Karma entstammt dem Sanskrit Kri, tun; alles Tun ist Karma. Als Fachausdruck bezeichnet das Wort die Wirkungen des Tuns. In Verbindung mit Metaphysik meint es auch oftmals die Wirkungen, von denen unsere vergangenen Taten die Ursachen sind. Doch im Karma-Yoga haben wir es mit dem Wort Karma einfach im Sinne von Arbeit zu tun. Das Ziel der Menschheit ist Erkenntnis. Dies ist das eine Ideal, das uns die östliche Philosophie gebracht hat. Vergnügen ist nicht das Ziel der Menschheit, sondern Erkenntnis. Vergnügen und Zufriedenheit enden. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass Vergnügen das Ziel sei. Die Ursache allen Elends dieser Welt ist, dass die Menschen närrischerweise denken, Vergnügen sei das Ideal, nach dem es zu streben gilt. Nach einiger Zeit findet der Mensch dann heraus, dass es nicht Vergnügen, sondern Erkenntnis ist, nach der er strebt, dass sowohl Vergnügen wie auch Schmerz große Lehrer sind, und dass er vom Schlechten ebensoviel lernt wie vom Guten. Wenn Vergnügen und Schmerz an seiner Seele vorüberziehen, lösen sie in ihr verschiedene Eindrücke aus. Das Resultat dieser kombinierten Eindrücke ist das, was der ›Charakter‹ des Menschen genannt wird. Betrachtest du also den Charakter irgendeines Menschen, so ist er die Zusammenballung von Tendenzen und die Gesamtsumme der Neigungen seines Geistes. Du wirst herausfinden, dass Elend und Glück gleichwertige Faktoren bei der Formung dieses Charakters sind. Gutes und Böses haben gleichen Anteil an der Gestaltung des Charakters, und in manchen Fällen ist das Elend ein größerer Lehrer als das Glück. Wenn man die großen Charaktere, die die Welt hervorgebracht hat, studiert, so wird man – wage ich zu behaupten – feststellen, dass in der großen Mehrheit der Fälle Elend sie mehr gelehrt hat denn Zufriedenheit. Es war die Armut, die mehr lehrte als der Reichtum, es waren Schicksalsschläge, die ihr inneres Feuer mehr entflammten als das Lob.
Nun ist Erkenntnis dem Menschen eigen. Kein Wissen kommt von außen, es ist alles innerlich. Wenn wir darüber sprechen, dass ein Mensch etwas ›weiß‹, sollte es in strikt psychologischer Sprache eher heißen, dass er etwas ›entdeckt‹ oder ›enthüllt‹. Das, was ein Mensch ›lernt‹, ist in Wirklichkeit das, was er ›entdeckt‹, indem er den Deckmantel von seiner eigenen Seele nimmt, die eine Mine unbegrenzten Wissens ist.
Wir sagen, Newton entdeckte die Gravitation. Saß sie irgendwo in der Ecke und wartete auf ihn? Sie entstammt seinem eigenen Bewusstsein! Die richtige Zeit kam und er fand sie heraus. Jegliches Wissen, das die Welt jemals erlangt hat, entstammt dem Bewusstsein. Die unbegrenzte Bücherei des Universums liegt in unserem eigenen Bewusstsein. Die externe Welt ist lediglich eine Anregung, die Möglichkeit, die dir das Studium deines eigenen Bewusstseins ermöglicht, doch das Objekt deines Studiums ist immer das eigene Bewusstsein. Der herunterfallende Apfel regte Newton an und dann studierte er sein eigenes Bewusstsein. Er arrangierte alle vorherigen Gedanken-Verknüpfungen seines Bewusstseins und formte eine neue Verknüpfung unter ihnen, nämlich die, die wir das Gesetz der Gravitation nennen. Sie war nicht in dem Apfel, noch im Zentrum der Erde.
Jedes Wissen, weltlich oder spirituell, liegt im menschlichen Bewusstsein. In vielen Fällen ist es noch nicht entdeckt, verbleibt verdeckt, und wenn die Verdeckung langsam entfernt wird, sagen wir, »Wir lernen«. Der Fortschritt des Wissens geschieht durch den Fortschritt dieses Prozesses der Enthüllung. Der Mensch, von dem dieser Schleier genommen ist, ist der wissendere Mensch, der Mensch, der fest von ihm umschlossen ist, ist unwissend, und der Mensch, von dem der Schleier vollständig gegangen ist, ist allwissend. Es gab allwissende Menschen, und ich glaube, es gibt sie jetzt; und es werden in den folgenden Zeitaltern Myriaden von ihnen kommen. Wie Feuer durch den Feuerstein, so existiert Erkenntnis durch das Bewusstsein. Äußere Anregung ist Reibung, die es hervorbringt. So ist es mit all unseren Gefühlen und Taten – unseren Tränen und unserem Lachen, unseren Freuden und unserer Trauer, unserem Weinen und unserem Gelächter, unseren Flüchen und Segnungen, unserem Lob und unseren Schmähungen – jedes einzelne von ihnen können wir, wenn wir uns nur in Ruhe selbst studieren, als aus uns selbst hervorgebracht entdecken. Das Resultat ist, was wir sind. All diese Schicksalsschläge zusammen sind Karma – Arbeit, Taten. Jeder geistig und körperlich der Seele erteilte Schlag, durch den gleichsam ihr Feuer entfacht wird und durch welches ihre eigene Kraft und Erkenntnis enthüllt werden kann, ist Karma, so man das Wort in seinem weitesten Sinne benutzt. Daher bringen wir die ganze Zeit Karma hervor. Ich spreche zu dir: Dies ist Karma. Du hörst zu: Das ist Karma. Wir atmen: Das ist Karma. Wir gehen: Karma. Alles, was wir tun, körperlich oder geistig, ist Karma, und es hinterlässt seine Spuren in uns.
Es gibt gewisse Arbeiten und Taten, die die Gesamtsumme einer größeren Anzahl kleinerer Arbeiten sind. Stehen wir nahe der Seeküste und hören die Wellen, die auf die Kieselsteine geschleudert werden, empfinden wir dies als ein großes Geräusch, und doch wissen wir, dass eine Welle tatsächlich aus Millionen kleinerer Wellen zusammengesetzt ist. Jede von ihnen macht ein Geräusch, das wir aber nicht aufnehmen können. Erst wenn sich die Geräusche zusammenfügen, können wir sie hören. Dementsprechend ist jeder Schlag des Herzens Arbeit. Bestimmte Arten von Arbeiten können wir fühlen und können sie begreifen; sie sind aber zur selben Zeit die Gesamtheit kleinerer Abläufe. Wenn du den Charakter eines Menschen wirklich beurteilen willst, dann schaue nicht auf seine großen Taten. Jeder Narr kann von Zeit zu Zeit ein Held werden. Beobachte den Menschen, wie er seine gewöhnlichsten Handlungen vollzieht. Dies sind genau die Dinge, die dir über den tatsächlichen Charakter eines Menschen Aufschluss geben werden. Große Gelegenheiten ermöglichen es selbst dem niedrigsten menschlichen Wesen, eine Form von Größe zu erlangen, doch allein derjenige ist ein wahrhaft großer Mensch, dessen Charakter immer groß ist, wo auch immer er sich befinden mag.
Karma in seiner Wirkung auf den Charakter ist die gewaltigste Kraft, mit der der Mensch umzugehen hat. Der Mensch ist wie ein Zentrum, das all die Kräfte des Universums an sich zieht, sie alle in diesem Zentrum verschmilzt und sie in einem großen Strom wieder aussendet. Solch ein Zentrum ist der wirkliche Mensch – der Allmächtige, der Allwissende – und er zieht das gesamte Universum an sich heran. Gut und schlecht, Elend und Glück, alles kommt ihm entgegen und hängt an ihm. Aus ihnen modelliert er den mächtigen Strom der Neigungen, der Charakter genannt wird und stößt ihn von sich ab. Wie er die Kraft hat, alles an sich zu ziehen, so hat er auch die Kraft, alles wieder abzustoßen.
All das Tun, das wir in der Welt sehen, all die Regungen der menschlichen Gesellschaft, all die Abläufe um uns herum, sind einfach der Widerhall der Gedanken, die Manifestation des Willens der Menschen. Maschinen oder Instrumente, Städte, Schiffe, Menschen im Krieg, all dies ist einfach die Manifestation des Willens der Menschen. Dieser Wille wird durch den Charakter verursacht, wie der Charakter selbst durch Karma geformt wird. Wie beim Karma, so ist es auch bei der Manifestation des Willens. Die Menschen mit mächtigem Willen, die die Welt hervorgebracht hat, waren gewaltige Arbeiter – riesenhafte Seelen, deren Wille kraftvoll genug war, Welten zu verändern und deren Wille durch beharrliche Arbeit über die Zeitalter wuchs. Solch ein gigantischer Wille wie der von Buddha oder von Jesus kann nicht in einem Leben erlangt werden, denn wir wissen, wer ihre Väter waren. Es ist nicht bekannt, dass ihre Väter jemals ein Wort zur Verbesserung der Menschheit gesprochen haben. Millionen von Zimmermännern, wie Joseph einer war, sind gestorben. Millionen leben. Es gab unzählige unbedeutende Könige wie Buddhas Vater in der Welt. Wäre es lediglich ein Fall von Vererbung, wie willst du erklären, wie jener unbedeutende Prinz, dem vielleicht nicht mal seine eigenen Untertanen gehorcht haben, diesen Sohn hervorbringen konnte, den die halbe Welt verehrt? Wie willst du den Abgrund erklären zwischen dem Zimmermann und seinem Sohn, den Millionen von Menschen als Gott verehren? Dies kann nicht durch die Theorie der Vererbung erklärt werden. Dieser gigantische Wille, den Buddha und Jesus in die Welt warfen, woher kam er? Woher kam diese Ansammlung der Kraft? Sie muss schon über Zeitalter da gewesen sein, kontinuierlich wachsend, bis sie in einem Buddha oder einem Jesus in die Gesellschaft brach, fortdauernd bis zum heutigen Tag.
All dies ist festgelegt durch Karma, Arbeit. Niemand kann irgendetwas erhalten, bevor er es sich nicht verdient. Wir mögen manchmal denken, dies sei nicht so, doch in langer Hinsicht werden wir dies begreifen. Ein Mensch kann sein ganzes Leben nach Reichtum streben, er kann Tausende betrügen, doch zuletzt wird er herausfinden, dass er es nicht verdient, reich zu sein, und sein Leben wird ihm ein Ärgernis und Plage sein. Wir können weitermachen, Dinge für unseren körperlichen Genuss zusammenzuraffen, doch nur das, was wir verdienen, ist wirklich unser. Ein Narr kann alle Bücher in der Welt kaufen und sie in seine Bibliothek stellen, doch er wird nur fähig sein die zu lesen, die ihm zukommen; dieses Zukommen und Verdienen wird durch Karma erzeugt. Unser Karma entscheidet, was wir verdienen und was wir uns zu Eigen machen können. Wir sind verantwortlich für das, was wir sind; und was immer wir selbst zu sein wünschen, wir haben die Kraft, uns dazu zu machen. Wenn das, was wir sind, das Ergebnis unseres vergangenen Tuns ist, so folgt daraus, dass wir das, was wir in der Zukunft sein wollen, durch unser gegenwärtiges Tun erzeugen können. Deshalb sollten wir lernen zu handeln. Du wirst sagen »Worin liegt denn der Nutzen, arbeiten zu lernen? Jeder arbeitet in der einen oder anderen Weise auf dieser Welt.« Doch man kann auch seine Energien vergeuden! In Hinsicht auf Karma-Yoga sagt die Bhagavad-Gitâ, dass man Arbeit mit Klugheit und als eine Wissenschaft tun muss. Dadurch, dass man weiß, wie man arbeitet, kann man die besten Ergebnisse erzielen. Erinnere, dass jede Arbeit ganz einfach darin besteht, die Kraft des Geistes auszudrücken, die sowieso schon da ist, und die Seele zu erwecken. Diese Kraft liegt wie die Erkenntnis in jedem Menschen. Die verschiedenen Arbeiten sind wie Fügungen, die diese Kraft hervorbringen kann, um die Giganten zu erwecken.
Menschen arbeiten aus verschiedenen Motiven. Es kann keine Arbeit ohne Motive geben. Manche Menschen wollen berühmt werden, und sie arbeiten für Ruhm. Andere wollen Geld, und sie streben nach Geld. Wieder andere wollen Macht, und sie streben nach Macht. Andere wollen in den Himmel, und sie arbeiten für dies. Viele wollen mit ihrem Tod einen Namen hinterlassen, wie es in China üblich ist, wo niemand vor seinem Tod einen Titel erhält; und dies ist, nach allem was wir wissen, wesentlich besser als bei uns. Wenn dort ein Mann etwas wirklich Gutes tut, wird seinem toten Vater oder seinem Großvater ein Adelstitel verliehen. Manche Menschen arbeiten für dies. Anhänger gewisser mohammedanischer Sekten arbeiten ihr ganzes Leben dafür, dass sie sich ein großes Grabmal für ihren Tod bauen können. Ich kenne Sekten, bei denen eine Gruft bereitgestellt wird, sobald ein Kind geboren ist. Ihnen ist diese Bereitstellung die wichtigste Arbeit, die ein Mensch tun kann. Und je größer und edler die Gruft, umso höher wird dieser Mensch eingeschätzt. Wieder andere arbeiten als Buße; machen alle Arten von bösen Dingen, bauen dann einen Tempel oder überreichen den Priestern eine Schenkung, um sich freizukaufen und dafür den Freifahrtschein zum Himmel erhalten. Sie denken, dass diese Art von Großzügigkeit sie reinwaschen könne und dass sie trotz ihrer Sündhaftigkeit ungeschoren davonkommen. Dies sind einige der mannigfaltigen Motive für die Arbeit.
Arbeite um der Arbeit willen. Es gibt einige wenige, die wie das Salz der Erde in jedem Land sind und die um der Arbeit willen arbeiten. Sie kümmern sich nicht um Anerkennung und guten Ruf, um Ruhm und nicht einmal um das Himmelreich. Sie arbeiten einfach deshalb, weil Gutes daraus entstehen wird. Es gibt wieder andere, die den Armen Gutes tun und der Menschheit aus noch edleren Motiven helfen, denn sie glauben daran, Gutes zu tun und zu lieben. Die Beweggründe, sich einen Namen zu machen oder Ruhm zu erlangen, bringen in der Regel nur selten unmittelbare Erfolge mit sich. Die stellen sich meist dann ein, wenn wir alt und mit unserem Leben beinahe fertig sind. Wenn ein Mensch ohne jedes selbstsüchtige Motiv arbeitet, erreicht er nicht alles? Ja, er erlangt das Höchste. Selbstlosigkeit selbst ist die beste Bezahlung, nur haben die Leute nicht die Geduld, dies zu üben. Es zahlt sich auch vom Standpunkt der Gesundheit her aus. Liebe, Wahrhaftigkeit und Selbstlosigkeit sind nicht nur moralisch klingende Worthülsen, sondern unsere höchsten Ideale, weil in ihnen eine so große Kraft liegt. Vor allem hat ein Mensch, der für nur fünf Tage, oder auch nur fünf Minuten, ohne einen selbstbezogenen Zweck arbeiten kann, also ohne an die Zukunft zu denken, an den Himmel, an Strafe oder irgendetwas in der Art, in sich die Fähigkeit gefunden, ein wirklicher, moralischer Gigant zu werden. Es ist schwer zu lernen, doch in der Tiefe unseres Herzen kennen wir seinen Wert und das Gute, das es hervorbringt. Es ist die größte Manifestation von Stärke – diese gewaltige Selbstbeherrschung. Selbstbegrenzung ist die Verwirklichung einer größeren Kraft als jede nach außen dringende Kraft. Ein Gespann mit vier Pferden kann ungehemmt einen Berg herunterrasen, oder der Lenker kann die Pferde zügeln. Welche ist wohl die größere Manifestation von Stärke, sie gehen zu lassen oder sie zu bändigen? Eine Kanonenkugel kann über eine lange Strecke durch die Luft fliegen und dann niederfallen. Der Flug einer anderen ist durch eine Mauer begrenzt, und der Einschlag erzeugt eine große Hitze. Jede sich zerstreuende Kraft, die einem selbstbezüglichem Motiv folgt, ist vergeudet, denn sie erzeugt keine Kraft, um zu dir zurückzukommen; doch wenn sie beherrscht wird, wird sich diese Macht entwickeln. Diese Selbstkontrolle wird dazu führen, einen starken Willen zu erzeugen, wie er auch dem Charakter eines Christus oder eines Buddha zu Eigen war. Närrische Menschen kennen dieses Geheimnis nicht und versuchen trotzdem, die Menschheit zu beherrschen. Ein Narr kann jedoch die ganze Welt beherrschen, wenn er nur arbeitet und geduldig ist. Lass ihn ein paar Jahre warten, treibe ihm die närrische Idee des Regierens aus und wenn diese Idee wirklich verschwunden ist, wird er eine wahre Macht in der Welt sein. Die Mehrheit von uns kann nicht weiter als ein paar Jahre sehen, so wie einige Tiere nicht weiter als ein paar Schritte sehen können. Ein kleiner, enger Kreis – dies ist unsere Welt. Wir haben nicht die Geduld, darüber hinaus zu schauen, und werden deswegen unmoralisch und böse. Dies ist unsere Schwäche, unsere Ohnmacht.
Gerade die einfachsten Formen der Arbeit sollten nicht verschmäht werden. Lasse den Menschen, der es nicht besser weiß, nach selbstsüchtigen Dingen streben, nach einem guten Ruf und Ruhm. Doch sollte jeder versuchen, nach höheren Motiven zu streben und sie zu verstehen. »Auf Arbeit haben wir ein Recht, doch nicht auf ihre Früchte«. Kümmert euch nicht um die Früchte. Warum sollte man sich um Ergebnisse kümmern? Wenn Du einem Menschen helfen willst, denke niemals daran, wie er sich dir gegenüber verhalten wird. Willst du eine großartige oder eine gute Tat tun, ärgere dich nicht mit der Frage, was das Resultat sein wird.
Aus diesem Ideal der Arbeit entsteht eine schwierige Frage. Intensive Aktivität ist notwendig. Wir müssen immer arbeiten. Wir können nicht leben, ohne eine Minute zu arbeiten, zu handeln. Was ist dann mit der Ruhe? Hier ist die eine Seite des Lebenskampfes – Arbeit, durch die wir kontinuierlich herumgewirbelt werden. Und hier ist die andere Seite – Ruhe, zurückgezogene Entsagung: Alles ringsum ist friedvoll, wenig Geräusche und Eindrücke, nur Natur mit Tieren und Blumen und Bergen. Keines von beiden ist ein vollendetes Bild. Ein die Einsamkeit gewohnter Mensch wird, sobald er in Kontakt mit dem ziehenden Strudel der Welt tritt, durch sie zerschmettert werden; wie ein Fisch stirbt, der in tief im Ozean lebt, sobald er an die Meeresoberfläche gebracht wird, weil er den Druckverlust nicht ausgleichen kann. Kann ein Mensch, der an die Unruhe und das Gedränge des Lebens gewöhnt ist, ein einfaches Leben führen, wenn er an einen ruhigen Ort kommt? Er leidet und wird vielleicht seinen Verstand verlieren. Der vollkommene Mensch ist der, der im Zentrum der größten Stille und Einsamkeit die höchste Intensität, und im Zentrum der höchsten Intensität die Stille und Einsamkeit einer Wüste findet. Er hat das Geheimnis der Selbstbeschränkung kennen gelernt, er kontrolliert sich selbst. Er wandelt durch die verkehrsbefahrenen Straßen einer großen Stadt, und sein Bewusstsein ist so ruhig, als wäre er in einer Höhle, wo ihn kein Geräusch erreichen kann. Er arbeitet intensiv die ganze Zeit. Dies ist das Ideal des Karma-Yoga, und hast du es erlangt, so hast du das Geheimnis der Arbeit erkannt.
Doch wir haben am Anfang zu beginnen, die Arbeit zu nehmen wie sie kommt und uns langsam jeden Tag immer selbstloser zu machen. Wir müssen arbeiten und die bewegende Kraft erkennen, die uns antreibt. Wir werden ohne Ausnahme in den ersten Jahren herausfinden, dass unsere Motive immer selbstbezogener Natur sind. Doch nach und nach wird diese Selbstbezüglichkeit durch Hartnäckigkeit zerschmelzen, bis zum Schluss der Zeitpunkt kommt, wo wir wirklich fähig sind, selbstlos zu arbeiten. Wir können alle hoffen, dass an dem einen oder anderen Tage, den wir uns auf dem Pfad des Lebens bemühen, eine Zeit kommen wird, wo wir vollkommen selbstlos sind. Und in dem Moment, wo wir dies erreichen, werden all unsere Mächte konzentriert sein, und die Erkenntnis, die in uns liegt, wird sich manifestieren.

Klappentext:

In seinem Buch Karma-Yoga stellt Swami Vivekananda den Pfad des Karma-Yoga, ein System aus Religion und Ethik, vor, das dahin führt, Freiheit durch Selbstlosigkeit und gute Taten zu erlangen. Der Karma-Yogi braucht an keine Doktrin zu glauben. Er hat sein eigenes, besonderes Ziel: die Realisierung der Selbstlosigkeit. Er wird sie für sich selbst ausarbeiten; jeder Moment seines Lebens wird eine Verwirklichung der Selbstlosigkeit sein, denn er hat sie durch reine Arbeit zu erlangen, ohne die Hilfe von Lehrsätzen oder Theorien. Er löst auf diese Weise jenes Problem, das der Jnâni-Yogi durch Vernunft und Inspiration und der Bhakti-Yogi durch seine Liebe löst.

 

 

Aus dem Buch:

Kapitel 1
Karma und seine Wirkung auf den Charakter
Das Wort Karma entstammt dem Sanskrit Kri, tun; alles Tun ist Karma. Als Fachausdruck bezeichnet das Wort die Wirkungen des Tuns. In Verbindung mit Metaphysik meint es auch oftmals die Wirkungen, von denen unsere vergangenen Taten die Ursachen sind. Doch im Karma-Yoga haben wir es mit dem Wort Karma einfach im Sinne von Arbeit zu tun. Das Ziel der Menschheit ist Erkenntnis. Dies ist das eine Ideal, das uns die östliche Philosophie gebracht hat. Vergnügen ist nicht das Ziel der Menschheit, sondern Erkenntnis. Vergnügen und Zufriedenheit enden. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass Vergnügen das Ziel sei. Die Ursache allen Elends dieser Welt ist, dass die Menschen närrischerweise denken, Vergnügen sei das Ideal, nach dem es zu streben gilt. Nach einiger Zeit findet der Mensch dann heraus, dass es nicht Vergnügen, sondern Erkenntnis ist, nach der er strebt, dass sowohl Vergnügen wie auch Schmerz große Lehrer sind, und dass er vom Schlechten ebensoviel lernt wie vom Guten. Wenn Vergnügen und Schmerz an seiner Seele vorüberziehen, lösen sie in ihr verschiedene Eindrücke aus. Das Resultat dieser kombinierten Eindrücke ist das, was der ›Charakter‹ des Menschen genannt wird. Betrachtest du also den Charakter irgendeines Menschen, so ist er die Zusammenballung von Tendenzen und die Gesamtsumme der Neigungen seines Geistes. Du wirst herausfinden, dass Elend und Glück gleichwertige Faktoren bei der Formung dieses Charakters sind. Gutes und Böses haben gleichen Anteil an der Gestaltung des Charakters, und in manchen Fällen ist das Elend ein größerer Lehrer als das Glück. Wenn man die großen Charaktere, die die Welt hervorgebracht hat, studiert, so wird man – wage ich zu behaupten – feststellen, dass in der großen Mehrheit der Fälle Elend sie mehr gelehrt hat denn Zufriedenheit. Es war die Armut, die mehr lehrte als der Reichtum, es waren Schicksalsschläge, die ihr inneres Feuer mehr entflammten als das Lob.
Nun ist Erkenntnis dem Menschen eigen. Kein Wissen kommt von außen, es ist alles innerlich. Wenn wir darüber sprechen, dass ein Mensch etwas ›weiß‹, sollte es in strikt psychologischer Sprache eher heißen, dass er etwas ›entdeckt‹ oder ›enthüllt‹. Das, was ein Mensch ›lernt‹, ist in Wirklichkeit das, was er ›entdeckt‹, indem er den Deckmantel von seiner eigenen Seele nimmt, die eine Mine unbegrenzten Wissens ist.
Wir sagen, Newton entdeckte die Gravitation. Saß sie irgendwo in der Ecke und wartete auf ihn? Sie entstammt seinem eigenen Bewusstsein! Die richtige Zeit kam und er fand sie heraus. Jegliches Wissen, das die Welt jemals erlangt hat, entstammt dem Bewusstsein. Die unbegrenzte Bücherei des Universums liegt in unserem eigenen Bewusstsein. Die externe Welt ist lediglich eine Anregung, die Möglichkeit, die dir das Studium deines eigenen Bewusstseins ermöglicht, doch das Objekt deines Studiums ist immer das eigene Bewusstsein. Der herunterfallende Apfel regte Newton an und dann studierte er sein eigenes Bewusstsein. Er arrangierte alle vorherigen Gedanken-Verknüpfungen seines Bewusstseins und formte eine neue Verknüpfung unter ihnen, nämlich die, die wir das Gesetz der Gravitation nennen. Sie war nicht in dem Apfel, noch im Zentrum der Erde.
Jedes Wissen, weltlich oder spirituell, liegt im menschlichen Bewusstsein. In vielen Fällen ist es noch nicht entdeckt, verbleibt verdeckt, und wenn die Verdeckung langsam entfernt wird, sagen wir, »Wir lernen«. Der Fortschritt des Wissens geschieht durch den Fortschritt dieses Prozesses der Enthüllung. Der Mensch, von dem dieser Schleier genommen ist, ist der wissendere Mensch, der Mensch, der fest von ihm umschlossen ist, ist unwissend, und der Mensch, von dem der Schleier vollständig gegangen ist, ist allwissend. Es gab allwissende Menschen, und ich glaube, es gibt sie jetzt; und es werden in den folgenden Zeitaltern Myriaden von ihnen kommen. Wie Feuer durch den Feuerstein, so existiert Erkenntnis durch das Bewusstsein. Äußere Anregung ist Reibung, die es hervorbringt. So ist es mit all unseren Gefühlen und Taten – unseren Tränen und unserem Lachen, unseren Freuden und unserer Trauer, unserem Weinen und unserem Gelächter, unseren Flüchen und Segnungen, unserem Lob und unseren Schmähungen – jedes einzelne von ihnen können wir, wenn wir uns nur in Ruhe selbst studieren, als aus uns selbst hervorgebracht entdecken. Das Resultat ist, was wir sind. All diese Schicksalsschläge zusammen sind Karma – Arbeit, Taten. Jeder geistig und körperlich der Seele erteilte Schlag, durch den gleichsam ihr Feuer entfacht wird und durch welches ihre eigene Kraft und Erkenntnis enthüllt werden kann, ist Karma, so man das Wort in seinem weitesten Sinne benutzt. Daher bringen wir die ganze Zeit Karma hervor. Ich spreche zu dir: Dies ist Karma. Du hörst zu: Das ist Karma. Wir atmen: Das ist Karma. Wir gehen: Karma. Alles, was wir tun, körperlich oder geistig, ist Karma, und es hinterlässt seine Spuren in uns.
Es gibt gewisse Arbeiten und Taten, die die Gesamtsumme einer größeren Anzahl kleinerer Arbeiten sind. Stehen wir nahe der Seeküste und hören die Wellen, die auf die Kieselsteine geschleudert werden, empfinden wir dies als ein großes Geräusch, und doch wissen wir, dass eine Welle tatsächlich aus Millionen kleinerer Wellen zusammengesetzt ist. Jede von ihnen macht ein Geräusch, das wir aber nicht aufnehmen können. Erst wenn sich die Geräusche zusammenfügen, können wir sie hören. Dementsprechend ist jeder Schlag des Herzens Arbeit. Bestimmte Arten von Arbeiten können wir fühlen und können sie begreifen; sie sind aber zur selben Zeit die Gesamtheit kleinerer Abläufe. Wenn du den Charakter eines Menschen wirklich beurteilen willst, dann schaue nicht auf seine großen Taten. Jeder Narr kann von Zeit zu Zeit ein Held werden. Beobachte den Menschen, wie er seine gewöhnlichsten Handlungen vollzieht. Dies sind genau die Dinge, die dir über den tatsächlichen Charakter eines Menschen Aufschluss geben werden. Große Gelegenheiten ermöglichen es selbst dem niedrigsten menschlichen Wesen, eine Form von Größe zu erlangen, doch allein derjenige ist ein wahrhaft großer Mensch, dessen Charakter immer groß ist, wo auch immer er sich befinden mag.
Karma in seiner Wirkung auf den Charakter ist die gewaltigste Kraft, mit der der Mensch umzugehen hat. Der Mensch ist wie ein Zentrum, das all die Kräfte des Universums an sich zieht, sie alle in diesem Zentrum verschmilzt und sie in einem großen Strom wieder aussendet. Solch ein Zentrum ist der wirkliche Mensch – der Allmächtige, der Allwissende – und er zieht das gesamte Universum an sich heran. Gut und schlecht, Elend und Glück, alles kommt ihm entgegen und hängt an ihm. Aus ihnen modelliert er den mächtigen Strom der Neigungen, der Charakter genannt wird und stößt ihn von sich ab. Wie er die Kraft hat, alles an sich zu ziehen, so hat er auch die Kraft, alles wieder abzustoßen.
All das Tun, das wir in der Welt sehen, all die Regungen der menschlichen Gesellschaft, all die Abläufe um uns herum, sind einfach der Widerhall der Gedanken, die Manifestation des Willens der Menschen. Maschinen oder Instrumente, Städte, Schiffe, Menschen im Krieg, all dies ist einfach die Manifestation des Willens der Menschen. Dieser Wille wird durch den Charakter verursacht, wie der Charakter selbst durch Karma geformt wird. Wie beim Karma, so ist es auch bei der Manifestation des Willens. Die Menschen mit mächtigem Willen, die die Welt hervorgebracht hat, waren gewaltige Arbeiter – riesenhafte Seelen, deren Wille kraftvoll genug war, Welten zu verändern und deren Wille durch beharrliche Arbeit über die Zeitalter wuchs. Solch ein gigantischer Wille wie der von Buddha oder von Jesus kann nicht in einem Leben erlangt werden, denn wir wissen, wer ihre Väter waren. Es ist nicht bekannt, dass ihre Väter jemals ein Wort zur Verbesserung der Menschheit gesprochen haben. Millionen von Zimmermännern, wie Joseph einer war, sind gestorben. Millionen leben. Es gab unzählige unbedeutende Könige wie Buddhas Vater in der Welt. Wäre es lediglich ein Fall von Vererbung, wie willst du erklären, wie jener unbedeutende Prinz, dem vielleicht nicht mal seine eigenen Untertanen gehorcht haben, diesen Sohn hervorbringen konnte, den die halbe Welt verehrt? Wie willst du den Abgrund erklären zwischen dem Zimmermann und seinem Sohn, den Millionen von Menschen als Gott verehren? Dies kann nicht durch die Theorie der Vererbung erklärt werden. Dieser gigantische Wille, den Buddha und Jesus in die Welt warfen, woher kam er? Woher kam diese Ansammlung der Kraft? Sie muss schon über Zeitalter da gewesen sein, kontinuierlich wachsend, bis sie in einem Buddha oder einem Jesus in die Gesellschaft brach, fortdauernd bis zum heutigen Tag.
All dies ist festgelegt durch Karma, Arbeit. Niemand kann irgendetwas erhalten, bevor er es sich nicht verdient. Wir mögen manchmal denken, dies sei nicht so, doch in langer Hinsicht werden wir dies begreifen. Ein Mensch kann sein ganzes Leben nach Reichtum streben, er kann Tausende betrügen, doch zuletzt wird er herausfinden, dass er es nicht verdient, reich zu sein, und sein Leben wird ihm ein Ärgernis und Plage sein. Wir können weitermachen, Dinge für unseren körperlichen Genuss zusammenzuraffen, doch nur das, was wir verdienen, ist wirklich unser. Ein Narr kann alle Bücher in der Welt kaufen und sie in seine Bibliothek stellen, doch er wird nur fähig sein die zu lesen, die ihm zukommen; dieses Zukommen und Verdienen wird durch Karma erzeugt. Unser Karma entscheidet, was wir verdienen und was wir uns zu Eigen machen können. Wir sind verantwortlich für das, was wir sind; und was immer wir selbst zu sein wünschen, wir haben die Kraft, uns dazu zu machen. Wenn das, was wir sind, das Ergebnis unseres vergangenen Tuns ist, so folgt daraus, dass wir das, was wir in der Zukunft sein wollen, durch unser gegenwärtiges Tun erzeugen können. Deshalb sollten wir lernen zu handeln. Du wirst sagen »Worin liegt denn der Nutzen, arbeiten zu lernen? Jeder arbeitet in der einen oder anderen Weise auf dieser Welt.« Doch man kann auch seine Energien vergeuden! In Hinsicht auf Karma-Yoga sagt die Bhagavad-Gitâ, dass man Arbeit mit Klugheit und als eine Wissenschaft tun muss. Dadurch, dass man weiß, wie man arbeitet, kann man die besten Ergebnisse erzielen. Erinnere, dass jede Arbeit ganz einfach darin besteht, die Kraft des Geistes auszudrücken, die sowieso schon da ist, und die Seele zu erwecken. Diese Kraft liegt wie die Erkenntnis in jedem Menschen. Die verschiedenen Arbeiten sind wie Fügungen, die diese Kraft hervorbringen kann, um die Giganten zu erwecken.
Menschen arbeiten aus verschiedenen Motiven. Es kann keine Arbeit ohne Motive geben. Manche Menschen wollen berühmt werden, und sie arbeiten für Ruhm. Andere wollen Geld, und sie streben nach Geld. Wieder andere wollen Macht, und sie streben nach Macht. Andere wollen in den Himmel, und sie arbeiten für dies. Viele wollen mit ihrem Tod einen Namen hinterlassen, wie es in China üblich ist, wo niemand vor seinem Tod einen Titel erhält; und dies ist, nach allem was wir wissen, wesentlich besser als bei uns. Wenn dort ein Mann etwas wirklich Gutes tut, wird seinem toten Vater oder seinem Großvater ein Adelstitel verliehen. Manche Menschen arbeiten für dies. Anhänger gewisser mohammedanischer Sekten arbeiten ihr ganzes Leben dafür, dass sie sich ein großes Grabmal für ihren Tod bauen können. Ich kenne Sekten, bei denen eine Gruft bereitgestellt wird, sobald ein Kind geboren ist. Ihnen ist diese Bereitstellung die wichtigste Arbeit, die ein Mensch tun kann. Und je größer und edler die Gruft, umso höher wird dieser Mensch eingeschätzt. Wieder andere arbeiten als Buße; machen alle Arten von bösen Dingen, bauen dann einen Tempel oder überreichen den Priestern eine Schenkung, um sich freizukaufen und dafür den Freifahrtschein zum Himmel erhalten. Sie denken, dass diese Art von Großzügigkeit sie reinwaschen könne und dass sie trotz ihrer Sündhaftigkeit ungeschoren davonkommen. Dies sind einige der mannigfaltigen Motive für die Arbeit.
Arbeite um der Arbeit willen. Es gibt einige wenige, die wie das Salz der Erde in jedem Land sind und die um der Arbeit willen arbeiten. Sie kümmern sich nicht um Anerkennung und guten Ruf, um Ruhm und nicht einmal um das Himmelreich. Sie arbeiten einfach deshalb, weil Gutes daraus entstehen wird. Es gibt wieder andere, die den Armen Gutes tun und der Menschheit aus noch edleren Motiven helfen, denn sie glauben daran, Gutes zu tun und zu lieben. Die Beweggründe, sich einen Namen zu machen oder Ruhm zu erlangen, bringen in der Regel nur selten unmittelbare Erfolge mit sich. Die stellen sich meist dann ein, wenn wir alt und mit unserem Leben beinahe fertig sind. Wenn ein Mensch ohne jedes selbstsüchtige Motiv arbeitet, erreicht er nicht alles? Ja, er erlangt das Höchste. Selbstlosigkeit selbst ist die beste Bezahlung, nur haben die Leute nicht die Geduld, dies zu üben. Es zahlt sich auch vom Standpunkt der Gesundheit her aus. Liebe, Wahrhaftigkeit und Selbstlosigkeit sind nicht nur moralisch klingende Worthülsen, sondern unsere höchsten Ideale, weil in ihnen eine so große Kraft liegt. Vor allem hat ein Mensch, der für nur fünf Tage, oder auch nur fünf Minuten, ohne einen selbstbezogenen Zweck arbeiten kann, also ohne an die Zukunft zu denken, an den Himmel, an Strafe oder irgendetwas in der Art, in sich die Fähigkeit gefunden, ein wirklicher, moralischer Gigant zu werden. Es ist schwer zu lernen, doch in der Tiefe unseres Herzen kennen wir seinen Wert und das Gute, das es hervorbringt. Es ist die größte Manifestation von Stärke – diese gewaltige Selbstbeherrschung. Selbstbegrenzung ist die Verwirklichung einer größeren Kraft als jede nach außen dringende Kraft. Ein Gespann mit vier Pferden kann ungehemmt einen Berg herunterrasen, oder der Lenker kann die Pferde zügeln. Welche ist wohl die größere Manifestation von Stärke, sie gehen zu lassen oder sie zu bändigen? Eine Kanonenkugel kann über eine lange Strecke durch die Luft fliegen und dann niederfallen. Der Flug einer anderen ist durch eine Mauer begrenzt, und der Einschlag erzeugt eine große Hitze. Jede sich zerstreuende Kraft, die einem selbstbezüglichem Motiv folgt, ist vergeudet, denn sie erzeugt keine Kraft, um zu dir zurückzukommen; doch wenn sie beherrscht wird, wird sich diese Macht entwickeln. Diese Selbstkontrolle wird dazu führen, einen starken Willen zu erzeugen, wie er auch dem Charakter eines Christus oder eines Buddha zu Eigen war. Närrische Menschen kennen dieses Geheimnis nicht und versuchen trotzdem, die Menschheit zu beherrschen. Ein Narr kann jedoch die ganze Welt beherrschen, wenn er nur arbeitet und geduldig ist. Lass ihn ein paar Jahre warten, treibe ihm die närrische Idee des Regierens aus und wenn diese Idee wirklich verschwunden ist, wird er eine wahre Macht in der Welt sein. Die Mehrheit von uns kann nicht weiter als ein paar Jahre sehen, so wie einige Tiere nicht weiter als ein paar Schritte sehen können. Ein kleiner, enger Kreis – dies ist unsere Welt. Wir haben nicht die Geduld, darüber hinaus zu schauen, und werden deswegen unmoralisch und böse. Dies ist unsere Schwäche, unsere Ohnmacht.
Gerade die einfachsten Formen der Arbeit sollten nicht verschmäht werden. Lasse den Menschen, der es nicht besser weiß, nach selbstsüchtigen Dingen streben, nach einem guten Ruf und Ruhm. Doch sollte jeder versuchen, nach höheren Motiven zu streben und sie zu verstehen. »Auf Arbeit haben wir ein Recht, doch nicht auf ihre Früchte«. Kümmert euch nicht um die Früchte. Warum sollte man sich um Ergebnisse kümmern? Wenn Du einem Menschen helfen willst, denke niemals daran, wie er sich dir gegenüber verhalten wird. Willst du eine großartige oder eine gute Tat tun, ärgere dich nicht mit der Frage, was das Resultat sein wird.
Aus diesem Ideal der Arbeit entsteht eine schwierige Frage. Intensive Aktivität ist notwendig. Wir müssen immer arbeiten. Wir können nicht leben, ohne eine Minute zu arbeiten, zu handeln. Was ist dann mit der Ruhe? Hier ist die eine Seite des Lebenskampfes – Arbeit, durch die wir kontinuierlich herumgewirbelt werden. Und hier ist die andere Seite – Ruhe, zurückgezogene Entsagung: Alles ringsum ist friedvoll, wenig Geräusche und Eindrücke, nur Natur mit Tieren und Blumen und Bergen. Keines von beiden ist ein vollendetes Bild. Ein die Einsamkeit gewohnter Mensch wird, sobald er in Kontakt mit dem ziehenden Strudel der Welt tritt, durch sie zerschmettert werden; wie ein Fisch stirbt, der in tief im Ozean lebt, sobald er an die Meeresoberfläche gebracht wird, weil er den Druckverlust nicht ausgleichen kann. Kann ein Mensch, der an die Unruhe und das Gedränge des Lebens gewöhnt ist, ein einfaches Leben führen, wenn er an einen ruhigen Ort kommt? Er leidet und wird vielleicht seinen Verstand verlieren. Der vollkommene Mensch ist der, der im Zentrum der größten Stille und Einsamkeit die höchste Intensität, und im Zentrum der höchsten Intensität die Stille und Einsamkeit einer Wüste findet. Er hat das Geheimnis der Selbstbeschränkung kennen gelernt, er kontrolliert sich selbst. Er wandelt durch die verkehrsbefahrenen Straßen einer großen Stadt, und sein Bewusstsein ist so ruhig, als wäre er in einer Höhle, wo ihn kein Geräusch erreichen kann. Er arbeitet intensiv die ganze Zeit. Dies ist das Ideal des Karma-Yoga, und hast du es erlangt, so hast du das Geheimnis der Arbeit erkannt.
Doch wir haben am Anfang zu beginnen, die Arbeit zu nehmen wie sie kommt und uns langsam jeden Tag immer selbstloser zu machen. Wir müssen arbeiten und die bewegende Kraft erkennen, die uns antreibt. Wir werden ohne Ausnahme in den ersten Jahren herausfinden, dass unsere Motive immer selbstbezogener Natur sind. Doch nach und nach wird diese Selbstbezüglichkeit durch Hartnäckigkeit zerschmelzen, bis zum Schluss der Zeitpunkt kommt, wo wir wirklich fähig sind, selbstlos zu arbeiten. Wir können alle hoffen, dass an dem einen oder anderen Tage, den wir uns auf dem Pfad des Lebens bemühen, eine Zeit kommen wird, wo wir vollkommen selbstlos sind. Und in dem Moment, wo wir dies erreichen, werden all unsere Mächte konzentriert sein, und die Erkenntnis, die in uns liegt, wird sich manifestieren.

Details zum Buch:
  • Format: 14,3 x 21 cm
  • 108 Seiten
  • Paperback
  • ISBN: 978-3-933321-55-8
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