PERFORMATISMUS oder Die Rückkehr des Glaubens

Klappentext:

Die Erkenntnisse und Entwicklungen der Postmoderne, den gesellschaftlichen Diskurs für etwa ein halbes Jahrhundert dominierend, haben sich ausgereizt. Neue Literaturformen, Kunst- und Bauwerke und Philosophien treten zu Tage. Wir sind in eine neue Epoche eingetreten: Die Postpostmoderne. Raoul Eshelman untersucht diese Entwicklungen mithilfe seines epochalen Konzeptes des ‚Performatismus’, durch den er die Kennzeichen dieser neuen und aufregenden Zeit in Kunst, Philosophie, Film, Literatur und Architektur herauszulösen versteht.

 

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Leseprobe

Kapitel 1: Von der Postmoderne zum Performatismus

 

Das vorliegende Buch versucht, die epochalen Veränderungen zu beschreiben, die sich in der westlichen Kultur während der letzten zwanzig Jahre zugetragen haben. Es geht dabei um die Abkehr von einer radikal ironischen und erkenntniskritischen „postmodernen“ Befindlichkeit hin zu einer neuen kulturellen Haltung, die uns förmlich zum Glauben zwingt. Diese neue, kulturell vermittelte Befähigung zum Glauben darf allerdings nicht als eine religiöse Wende missverstanden werden. Unsere Kultur ist – mit sehr wenigen Ausnahmen – eine säkulare und dies wird sich in absehbarer Zeit auch nicht wesentlich verändern. Die neue Einstellung hin auf den Glauben ist daher in erster Linie ästhetisch erfahr- und erklärbar, das heißt mittels einer Auseinandersetzung mit Literatur, Film, Architektur und bildender Kunst. Diese ästhetisch vermittelte, kulturübergreifende Glaubenserfahrung nenne ich Performatismus. Wie sie zustande kommt und wirkt, und warum sie so heißt, möchte ich auf den folgenden Seiten darstellen.
Am besten lässt sich mit einem kurzen Rückblick auf die Kulturentwicklung während der letzten 50 Jahre beginnen. Seit Anfang der 60er Jahre herrscht in der westlichen Kultur – und nicht nur dort – eine ironisierende und radikal erkenntniskritische Haltung, die man landläufig Postmoderne nennt. Selbst in Deutschland, wo man der Postmoderne gegenüber stets skeptisch blieb, lässt sich diese kulturelle Dominante gut beobachten. Filme wie Paris, Texas (Wim Wenders, 1984), Romane wie Patrick Süßkinds Parfum (1985) oder Christian Krachts Faserland (1995), fotografische Serien wie die Fördertürme von Bernd und Hilla Becher (70er Jahre) oder Gebäude wie die Staatsgalerie Museum in Stuttgart (James Stirling, 1984) – um nur einige Beispiele herauszugreifen – verkörpern alle in der einen oder anderen Weise Schlüsselelemente der Postmoderne.

Doch was ist eigentlich die Postmoderne? Wie alle breit angelegten epochalen Kulturentwicklungen (Barock, Romantik, Realismus usw.) lässt auch sie sich nicht völlig einheitlich oder abschließend bestimmen. Für unsere Zwecke begreift man sie am besten als Skepsis gegenüber den realen oder vermeintlichen Fehlleistungen der Moderne, also der europäischen und anglo-amerikanischen Kulturentwicklung zwischen etwa 1910 und Mitte der 40er Jahre. Wesentlich dabei sind das katastrophale Erbe des Totalitarismus sowie die von der modernen Technik ermöglichte Massenvernichtung während des Zweiten Weltkriegs. So mündete das utopische Streben der künstlerischen Moderne in politischen Totalitarismus, so wurde die authentische Erfahrung des Einzelnen angesichts des Massensterbens im Konzentrationslager und Gulag entwertet, so gipfelten Innovationsdrang und technischer Fortschritt in die Atompilze von Hiroshima und Nagasaki. Die Gegenreaktion, die man Postmoderne nennt, ergibt sich dabei weniger aus bewusst entworfenen programmatischen Überlegungen – denn auch diese waren eine Spezialität der avantgardistischen Moderne – als vielmehr aus dem diffusen Bestreben, die katastrophalen Fehler der Moderne nie wieder aufkommen zu lassen. Davon ausgehend wandte man sich vom Utopismus und von klar markierten ideologischen Positionen ab, man verwarf die Suche nach authentischer individueller Erfahrung als illusorischen Selbstbetrug und weigert sich, eigene Werke als völlig neu – und damit als Fortsetzung des modernistischen Innovationsstrebens – zu deklarieren. Stillschweigend machte man beim Projekt der Moderne, das auf Utopismus, Fortschrittsglauben, Innovationsfreude und authentischer Erfahrung fußte, einfach nicht mehr mit.

Doch was ergab sich aus dieser Verweigerungshaltung? Die Kritiker der Postmoderne sehen darin eine Art Rückkehr des Nihilismus oder einen Verzicht auf ethische Verantwortung schlechthin – daher die häufig formulierte Kritik, die Postmoderne sei „sinnentleert“, „unmoralisch“, „beliebig“ oder „Verrat an der Aufklärung“. In Wirklichkeit trifft keiner dieser (in Deutschland häufig geäußerten) Kritikpunkte wirklich zu. Stattdessen haben die Postmodernisten – die von ihrer Postmodernität zunächst natürlich nichts wussten – Strategien entwickelt, die eine Wiederholung der modernen Katastrophen verhindern sollten. Diese Strategien, die in den verschiedensten Medien, Gattungen und kulturellen Zusammenhängen entstehen, hinterlassen beim ersten Betrachten einen sehr uneinheitlichen und unübersichtlichen Eindruck. Dennoch lassen sich trotz dieser Vielfalt der Erscheinungsformen gewisse wiederkehrende Muster erkennen, die dazu berechtigen, von einer zusammenhängenden Richtung oder Entwicklung zu sprechen.

Wie sehen nun diese Strategien konkret aus? Beinahe durchgehend findet man eine grundsätzlich desillusionierende Haltung, die authentisches innerliches Erleben, die Aufdeckung eines tieferen, verborgenen Sinnes oder die schlagartige Synthese des Neuen aus dem Alten unterwandern, ad absurdum führen oder prinzipiell unmöglich machen. Ein „klassisches“ Beispiel hierfür ist Donald Barthelmes Kurzgeschichte „Der Ballon“ („The Balloon“, 1968). Dort beschreibt der Protagonist in aller Ausführlichkeit, wie er einen riesigen Ballon über Manhattan hochsteigen lässt. Der wundersame Ballon, der 45 Straßenzüge bedeckt und auf dem man stellenweise spazieren gehen kann, erzeugt verschiedene „Meinungen“, „Reaktionen“ und „Komplexe von Haltungen“, aber keinen greifbaren Sinn. Erst am Ende der Erzählung wird der „Sinn“ des Ballons in ein paar Sätzen enthüllt. Der Erzähler gesteht seiner Freundin, die gerade aus Norwegen zurückgekehrt ist, dass der Ballon eine „autobiografische Eröffnung“ sei, die er habe aufsteigen lassen, weil er „Unbehagen“ bei der Abwesenheit der Freundin sowie „sexuelle Mangelerscheinungen“ verspürt habe. Der „sinnlose“ Ballon erweist sich als eine bewusst lancierte, selbsttherapeutische Falschheit und das „sinnvolle“ Geständnis des Erzählers zwingt uns, immer wieder an dieser Falschheit teilzunehmen. Weder Erzähler noch Leser können sich diesem Kreislauf entziehen. Wer nach dem Autor sucht, der Klarheit schafft oder einen rettenden Ausweg bietet, sucht vergebens, denn der Autor ist von vornherein zum einen die Quelle der endlosen Kreisbewegung und zum anderen ebenso darin gefangen wie Erzähler und Leser.

Anhand dieses endlosen Kreislaufs des Erzählens lassen sich die oben erwähnten Grundstrategien der Postmoderne gut erkennen: Der postmoderne Mensch zeichnet sich nicht mehr durch eine authentische Tiefendimension aus, sondern durch die Fähigkeit, seine eher banale Innerlichkeit durch die Setzung falscher Zeichen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Der Mensch bauscht sich dadurch an der Oberfläche eine Zeit lang selbst auf und wird nicht mehr direkt greifbar, verliert dabei somit an Tiefgang und Substanz. Gleichzeitig wird dieser postmoderne Mensch, sofern er sich als Erzähler betätigt, durch eine grundsätzliche, nicht mehr aufzuhebende Ironie bestimmt. Er macht zwar selbst ehrlicherweise auf die eigene, spielerisch inszenierte Falschheit aufmerksam, bleibt aber immer auf diese angewiesen, um seinem Trieb- und Innenleben Abhilfe zu verschaffen. Trotz eines maximalen Grades an authentischem Selbstwissen kann er nur immer wieder den Zyklus von spielerischer Verstellung und kritischer Selbstentlarvung durchlaufen, und zwar ohne Aussicht auf eine „echte“, befreiende Überwindung der vorliegenden Umstände. Dies leitet auch den viel zitierten „Tod des Autors“ ein. Zwar stirbt der Autor natürlich nicht buchstäblich, aber er ist als autoritative Quelle grundsätzlich außer Gefecht gesetzt – er bietet keinen Ausweg aus dem erkenntnistheoretischen Teufelskreis, den er selbst so gnadenlos gezeichnet hat.

Der postmoderne Mensch, wie er etwa in „Der Ballon“ zum Ausdruck kommt, ist in hohem Maße ambivalent. Er hat zwar keine Illusionen mehr (er kann die eigene Lage bestens beschreiben) und er kann frei simulieren und spielen (den Ballon erfinden), aber er kann nicht über sich selbst hinauswachsen. Es gibt nichts Echtes, auf das er zurückgreifen könnte und es gibt kein utopisches Ufer, an das er sich retten könnte. Wer sich als Moderne-Nostalgiker mit dieser Lage nicht anfreunden kann, muss jedoch angeben, was genau das „Echte“ ist, das wir anstreben sollten, und er muss angeben, welcher ideale Fixstern uns den Weg zeigen würde, um dieser misslichen Situation zu entkommen. Genau deshalb, weil all diese authentischen und utopischen Lösungen in der Moderne bereits durchgespielt worden sind – und zwar mit bedenklichen bis katastrophalen Folgen –, ist es schwierig, die erkenntniskritischen Strategien der Postmoderne ganz ohne weiteres aus den Angeln zu heben. Auch deshalb konnte sich die Postmoderne bei aller gelebten Ambivalenz so lange und so nachhaltig durchsetzen. Was übrig bleibt (neben einer gewissen Melancholie) ist die Erkenntnis, dass wir kritisch und spielerisch mit der Misere umgehen können, in der wir stecken, und dass der Versuch, diese Misere mit den Mitteln der klassischen Moderne zu überwinden, nur zu noch größerem Unheil führen würde. Denn: Wer die Moderne in aller Konsequenz noch einmal durchspielen will, ist dazu verurteilt, dies im Guten und im Schlechten zu tun. Wer Mensch und Gesellschaft im Sinne eines utopischen Ideals radikal umkrempeln will, wird sich auch auf den totalitären Missbrauch dieses Ideals einlassen müssen.

 

Klappentext:

Die Erkenntnisse und Entwicklungen der Postmoderne, den gesellschaftlichen Diskurs für etwa ein halbes Jahrhundert dominierend, haben sich ausgereizt. Neue Literaturformen, Kunst- und Bauwerke und Philosophien treten zu Tage. Wir sind in eine neue Epoche eingetreten: Die Postpostmoderne. Raoul Eshelman untersucht diese Entwicklungen mithilfe seines epochalen Konzeptes des ‚Performatismus’, durch den er die Kennzeichen dieser neuen und aufregenden Zeit in Kunst, Philosophie, Film, Literatur und Architektur herauszulösen versteht.

 

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Leseprobe

Kapitel 1: Von der Postmoderne zum Performatismus

 

Das vorliegende Buch versucht, die epochalen Veränderungen zu beschreiben, die sich in der westlichen Kultur während der letzten zwanzig Jahre zugetragen haben. Es geht dabei um die Abkehr von einer radikal ironischen und erkenntniskritischen „postmodernen“ Befindlichkeit hin zu einer neuen kulturellen Haltung, die uns förmlich zum Glauben zwingt. Diese neue, kulturell vermittelte Befähigung zum Glauben darf allerdings nicht als eine religiöse Wende missverstanden werden. Unsere Kultur ist – mit sehr wenigen Ausnahmen – eine säkulare und dies wird sich in absehbarer Zeit auch nicht wesentlich verändern. Die neue Einstellung hin auf den Glauben ist daher in erster Linie ästhetisch erfahr- und erklärbar, das heißt mittels einer Auseinandersetzung mit Literatur, Film, Architektur und bildender Kunst. Diese ästhetisch vermittelte, kulturübergreifende Glaubenserfahrung nenne ich Performatismus. Wie sie zustande kommt und wirkt, und warum sie so heißt, möchte ich auf den folgenden Seiten darstellen.
Am besten lässt sich mit einem kurzen Rückblick auf die Kulturentwicklung während der letzten 50 Jahre beginnen. Seit Anfang der 60er Jahre herrscht in der westlichen Kultur – und nicht nur dort – eine ironisierende und radikal erkenntniskritische Haltung, die man landläufig Postmoderne nennt. Selbst in Deutschland, wo man der Postmoderne gegenüber stets skeptisch blieb, lässt sich diese kulturelle Dominante gut beobachten. Filme wie Paris, Texas (Wim Wenders, 1984), Romane wie Patrick Süßkinds Parfum (1985) oder Christian Krachts Faserland (1995), fotografische Serien wie die Fördertürme von Bernd und Hilla Becher (70er Jahre) oder Gebäude wie die Staatsgalerie Museum in Stuttgart (James Stirling, 1984) – um nur einige Beispiele herauszugreifen – verkörpern alle in der einen oder anderen Weise Schlüsselelemente der Postmoderne.

Doch was ist eigentlich die Postmoderne? Wie alle breit angelegten epochalen Kulturentwicklungen (Barock, Romantik, Realismus usw.) lässt auch sie sich nicht völlig einheitlich oder abschließend bestimmen. Für unsere Zwecke begreift man sie am besten als Skepsis gegenüber den realen oder vermeintlichen Fehlleistungen der Moderne, also der europäischen und anglo-amerikanischen Kulturentwicklung zwischen etwa 1910 und Mitte der 40er Jahre. Wesentlich dabei sind das katastrophale Erbe des Totalitarismus sowie die von der modernen Technik ermöglichte Massenvernichtung während des Zweiten Weltkriegs. So mündete das utopische Streben der künstlerischen Moderne in politischen Totalitarismus, so wurde die authentische Erfahrung des Einzelnen angesichts des Massensterbens im Konzentrationslager und Gulag entwertet, so gipfelten Innovationsdrang und technischer Fortschritt in die Atompilze von Hiroshima und Nagasaki. Die Gegenreaktion, die man Postmoderne nennt, ergibt sich dabei weniger aus bewusst entworfenen programmatischen Überlegungen – denn auch diese waren eine Spezialität der avantgardistischen Moderne – als vielmehr aus dem diffusen Bestreben, die katastrophalen Fehler der Moderne nie wieder aufkommen zu lassen. Davon ausgehend wandte man sich vom Utopismus und von klar markierten ideologischen Positionen ab, man verwarf die Suche nach authentischer individueller Erfahrung als illusorischen Selbstbetrug und weigert sich, eigene Werke als völlig neu – und damit als Fortsetzung des modernistischen Innovationsstrebens – zu deklarieren. Stillschweigend machte man beim Projekt der Moderne, das auf Utopismus, Fortschrittsglauben, Innovationsfreude und authentischer Erfahrung fußte, einfach nicht mehr mit.

Doch was ergab sich aus dieser Verweigerungshaltung? Die Kritiker der Postmoderne sehen darin eine Art Rückkehr des Nihilismus oder einen Verzicht auf ethische Verantwortung schlechthin – daher die häufig formulierte Kritik, die Postmoderne sei „sinnentleert“, „unmoralisch“, „beliebig“ oder „Verrat an der Aufklärung“. In Wirklichkeit trifft keiner dieser (in Deutschland häufig geäußerten) Kritikpunkte wirklich zu. Stattdessen haben die Postmodernisten – die von ihrer Postmodernität zunächst natürlich nichts wussten – Strategien entwickelt, die eine Wiederholung der modernen Katastrophen verhindern sollten. Diese Strategien, die in den verschiedensten Medien, Gattungen und kulturellen Zusammenhängen entstehen, hinterlassen beim ersten Betrachten einen sehr uneinheitlichen und unübersichtlichen Eindruck. Dennoch lassen sich trotz dieser Vielfalt der Erscheinungsformen gewisse wiederkehrende Muster erkennen, die dazu berechtigen, von einer zusammenhängenden Richtung oder Entwicklung zu sprechen.

Wie sehen nun diese Strategien konkret aus? Beinahe durchgehend findet man eine grundsätzlich desillusionierende Haltung, die authentisches innerliches Erleben, die Aufdeckung eines tieferen, verborgenen Sinnes oder die schlagartige Synthese des Neuen aus dem Alten unterwandern, ad absurdum führen oder prinzipiell unmöglich machen. Ein „klassisches“ Beispiel hierfür ist Donald Barthelmes Kurzgeschichte „Der Ballon“ („The Balloon“, 1968). Dort beschreibt der Protagonist in aller Ausführlichkeit, wie er einen riesigen Ballon über Manhattan hochsteigen lässt. Der wundersame Ballon, der 45 Straßenzüge bedeckt und auf dem man stellenweise spazieren gehen kann, erzeugt verschiedene „Meinungen“, „Reaktionen“ und „Komplexe von Haltungen“, aber keinen greifbaren Sinn. Erst am Ende der Erzählung wird der „Sinn“ des Ballons in ein paar Sätzen enthüllt. Der Erzähler gesteht seiner Freundin, die gerade aus Norwegen zurückgekehrt ist, dass der Ballon eine „autobiografische Eröffnung“ sei, die er habe aufsteigen lassen, weil er „Unbehagen“ bei der Abwesenheit der Freundin sowie „sexuelle Mangelerscheinungen“ verspürt habe. Der „sinnlose“ Ballon erweist sich als eine bewusst lancierte, selbsttherapeutische Falschheit und das „sinnvolle“ Geständnis des Erzählers zwingt uns, immer wieder an dieser Falschheit teilzunehmen. Weder Erzähler noch Leser können sich diesem Kreislauf entziehen. Wer nach dem Autor sucht, der Klarheit schafft oder einen rettenden Ausweg bietet, sucht vergebens, denn der Autor ist von vornherein zum einen die Quelle der endlosen Kreisbewegung und zum anderen ebenso darin gefangen wie Erzähler und Leser.

Anhand dieses endlosen Kreislaufs des Erzählens lassen sich die oben erwähnten Grundstrategien der Postmoderne gut erkennen: Der postmoderne Mensch zeichnet sich nicht mehr durch eine authentische Tiefendimension aus, sondern durch die Fähigkeit, seine eher banale Innerlichkeit durch die Setzung falscher Zeichen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Der Mensch bauscht sich dadurch an der Oberfläche eine Zeit lang selbst auf und wird nicht mehr direkt greifbar, verliert dabei somit an Tiefgang und Substanz. Gleichzeitig wird dieser postmoderne Mensch, sofern er sich als Erzähler betätigt, durch eine grundsätzliche, nicht mehr aufzuhebende Ironie bestimmt. Er macht zwar selbst ehrlicherweise auf die eigene, spielerisch inszenierte Falschheit aufmerksam, bleibt aber immer auf diese angewiesen, um seinem Trieb- und Innenleben Abhilfe zu verschaffen. Trotz eines maximalen Grades an authentischem Selbstwissen kann er nur immer wieder den Zyklus von spielerischer Verstellung und kritischer Selbstentlarvung durchlaufen, und zwar ohne Aussicht auf eine „echte“, befreiende Überwindung der vorliegenden Umstände. Dies leitet auch den viel zitierten „Tod des Autors“ ein. Zwar stirbt der Autor natürlich nicht buchstäblich, aber er ist als autoritative Quelle grundsätzlich außer Gefecht gesetzt – er bietet keinen Ausweg aus dem erkenntnistheoretischen Teufelskreis, den er selbst so gnadenlos gezeichnet hat.

Der postmoderne Mensch, wie er etwa in „Der Ballon“ zum Ausdruck kommt, ist in hohem Maße ambivalent. Er hat zwar keine Illusionen mehr (er kann die eigene Lage bestens beschreiben) und er kann frei simulieren und spielen (den Ballon erfinden), aber er kann nicht über sich selbst hinauswachsen. Es gibt nichts Echtes, auf das er zurückgreifen könnte und es gibt kein utopisches Ufer, an das er sich retten könnte. Wer sich als Moderne-Nostalgiker mit dieser Lage nicht anfreunden kann, muss jedoch angeben, was genau das „Echte“ ist, das wir anstreben sollten, und er muss angeben, welcher ideale Fixstern uns den Weg zeigen würde, um dieser misslichen Situation zu entkommen. Genau deshalb, weil all diese authentischen und utopischen Lösungen in der Moderne bereits durchgespielt worden sind – und zwar mit bedenklichen bis katastrophalen Folgen –, ist es schwierig, die erkenntniskritischen Strategien der Postmoderne ganz ohne weiteres aus den Angeln zu heben. Auch deshalb konnte sich die Postmoderne bei aller gelebten Ambivalenz so lange und so nachhaltig durchsetzen. Was übrig bleibt (neben einer gewissen Melancholie) ist die Erkenntnis, dass wir kritisch und spielerisch mit der Misere umgehen können, in der wir stecken, und dass der Versuch, diese Misere mit den Mitteln der klassischen Moderne zu überwinden, nur zu noch größerem Unheil führen würde. Denn: Wer die Moderne in aller Konsequenz noch einmal durchspielen will, ist dazu verurteilt, dies im Guten und im Schlechten zu tun. Wer Mensch und Gesellschaft im Sinne eines utopischen Ideals radikal umkrempeln will, wird sich auch auf den totalitären Missbrauch dieses Ideals einlassen müssen.

 

Details zum Buch:
  • Format: 12x 19 cm
  • 180 Seiten
  • Paperback
  • ISBN: 978-84-946284-1-2
  • Unser Preis: 14,90€
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